Honeycreepers in the Scar Face Moon
An einem sonnigen Frühherbsttag wehte uns, meinem Kollegen und mir, ein Hauch Hollywood in die Gesichter, als wir in die Strychnin Gallery im Berliner Stadtteil Friedrichshain hinein schritten.
Nicht aber die oberflächliche Glitzerwelt des modernen Hollywoods, sondern an Stelle dem, ließ die abseitige, bunte und bizarre Seite Südkaliforniens diesen exotischen Windzug nachhaltig wirken. In der Mitte der Galerie saßen, adrett in Schale geworfen, drei weibliche Hauptprotagonisten der bereits perfekt in Szene gesetzten Exposition »Honeycreepers in the Scar Face Moon«, die am Tag darauf dem Publikum eröffnet werden sollte und bis in den Oktober hinein nicht nur Berliner verzauberte.
Die Galeristin Yasha Young machte uns bekannt mit der Künstlerin Adele Mildred, welche der weiblichen Hauptrolle eines 40er Jahre Hollywoodstreifens entstiegen wirkte, und natürlich mit Elizabeth McGrath. Adele ist nicht nur eine gute Freundin von Lowbrow-Ikone McGrath, sondern zudem war sie neben Elizabeth und Scott Saw Mitausstellerin in »Honeycreepers in the Scar Face Moon«.
Ihre kleinen gezeichneten, gestickten und gemalten Werke, die an viktorianische Grabbilder (bei ihr allerdings mit Tierköpfen) vergangener Jahrhunderte angelehnt sind, füllten eine halbe Wand der Galerie als Abrundung für McGraths bizarres Skulpturenwerk. Aufgewachsen ist Adele teilweise in Frankreich und in Minnesota. Wie auch Elizabeth McGrath gehört sie zu einer Gruppe KünstlerInnen in Los Angeles, die ihre Wurzeln im Mode-Bereich haben.
Der Besuch von Fashion-Schulen gehörte dort genauso dazu, wie auch das modische Ausstaffieren der Mädels. Liz McGraths persönliche Erscheinung ist in gewisser Weise ein Spiegel ihrer Kunst. Einerseits punkig und verrückt und andererseits verspielt süß mit Zöpfen und kurzem Wolfskleid, natürlich aus der Nadel Adele Mildreds.
Die, nach der Begrüßung und den obligatorischen Handshakes, fachkundige Führung durch die Ausstellung ließ mich abtauchen in eine isolierte Welt voller merkwürdiger Fantasiekreaturen. Ein tätowierter weißer Hirschkopf mit geröteter Augenpartie und Träne im Gesicht, der mit seinen klassischen Machotattoos und dem bezeichnenden Schriftzug »Friend«, dargestellt als Jagdtrophäe, dort an der Wand, traurig wirkte als starkes stolzes Tier selbst gejagt und erlegt. Das scheint in gewisser Weise auf das Selbstbewußtsein und die Stärke einer Frau wie Liz McGrath hinzudeuten.
Aber woher kommt dieses Stärke und dieser Hang zum »Basteln« hat Liz McGrath früher mit Puppen gespielt!? Eher nicht, was aber nicht daran lag, daß sie es nicht wollte, sondern daran, daß ihre Eltern einfach nicht genügend Geld hatten, ihren Kindern Puppen oder andere Spielsachen zu kaufen. Aus diesem Grunde spielten sie auch meist draußen und fingen an, sich aus Steinen und anderen Dingen eigenes Spielzeug zu basteln.
»In Amerika gab es diese Cupcakes, auf denen sind immer so kleine Figuren drauf gewesen, die haben wir gesammelt und etwas zum Spielen daraus gemacht.«
Tja, selbst die damalige kleine Liz war schon recht kreativ. Das nutzte sie auch am Anfang ihrer Karriere, indem sie für namhafte Bands wie »Sepultura« die Sets für deren Videos gestaltete und die Band damit in meist skurrile Szenen sperrte. Weiterhin wirkte sie bei der Gestaltung von Animations- und Stop-Motion-Filmen mit, in denen meist mit Knete oder Puppen gearbeitet wurde. Das machte ihr zwar Spaß, hatte aber auch den Nachteil, daß man diese in mühevoller Arbeit inszenierte Bühnenkunst meist nur für eine Sekunde in dem Video sah.
Liz wollte aber Sets kreieren, die Bestand haben und haben werden, etwas das bleibt und das man sich öfter und länger anschauen kann. So fing sie an, ihren Figuren Geschichten mitzugeben, oder eine Landschaft, eben einen Hintergrund, der machmal auch ein Hintergrund direkt in der Figur ist. Daß sie mit dieser Art von Kunst genau am Puls der Zeit lag und liegt wurde ihr damit bestätigt, im Buch »Pop Surrealism The Rise of Underground Art« aufzutauchen.
In diesem Buch. welches von Kirsten Anderson 2004 im Verlag »Last Gasp« herausgebracht wurde, finden sich 23 zeitgemäße und vor allem wichtige Underground- und Lowbrowkünstler wieder, die unterschiedlicher in ihrer Kunst und doch auch gleicher in ihrem Denken nicht sein könnten. Underground eben.
Für ihre bizarren Skulpturen benutzt Liz verschiedenste Materialien, die schon fast an eine kleine Hobbywerkstatt erinnern, denn an Kunst. Resin, Leder, verschiedenste alte Stoffe, Schaum, den sie aushöhlt, Plexiglas, kleine Schmuckaccessoires wie man sie bei uns aus Automaten für Kinder ziehen kann, viel Draht, sowie Leder- und Felljacken aus Secondhandläden, die sie zerschneidet um zum Beispiele buschige Schwänze herzustellen so auch im Hauptwerk der Ausstellung »Honeycreeper in the Scar Face Moon«. Das ist ein aufwendig gestaltetes Diorama aus Resin, und tausend anderen Materialien, das auch auf den hundertsten Blick nie langweilig wird, immer noch kleinere Details zum Vorschein bringt.
Bei der Betrachtung hat man immer wieder das Gefühl, etwas noch nicht gesehen zu haben, oder Angst davor, etwas zu vergessen, sollte man sich davon abwenden.
Es gibt schon viel zu viele Arttoys, ich möchte wieder zu meinen Wurzeln zurück und alles von Hand machen. Es ist mir auch wichtig, daß die Sachen umweltfreundlich sind, also nicht aus Vinyl so wie die meisten Arttoys. Da mach ich lieber solche Filzpuppen, solche wie ich ganz am Anfang mal gemacht habe, wie man sie auch in meinem Buch sehen kann.
Liz McGrath ist es nicht wichtig als Undergroundkünstlerin angesehen zu werden, wobei solch eine Frage wahrscheinlich nur ein Europäer stellen kann, da sich der Kunstmarkt in Amerika schon immer viel schneller entwickelte. Liz Wurzeln sind schon im Underground zu finden, aber ihr geht es eher darum, kreativ zu sein und kreativ wirken zu können. Ob das am Ende dann ein Super High End Teil wird, oder nur eine kleine Vernissage um die Ecke, ist dabei egal. Es kommt drauf an, ob sie die Ausstellung und die Leute um sich herum leiden kann.
Eigentlich erledigt sich das aber, wenn man bedenkt, daß sie ihre Ausstellungen auf drei Galerien weltweit beschränkt, und nur einzelne Werke in Gruppenshows ausstellt. Auf die Frage nach Arttoys aus der »Feder« Liz bekommt man die Antwort, daß schon drei sehr limitierte Figuren in Arbeit sind, und demnächst auf den Markt kommen. Sie möchte aber keine weiteren machen, da sie sich wirklich mehr als Künstlerin sieht und lieber Einzelstücke herstellt. »Es gibt schon viel zu viele Arttoys, ich möchte wieder zu meinen Wurzeln zurück und alles von Hand machen. Es ist mir auch wichtig, daß die Sachen umweltfreundlich sind, also nicht aus Vinyl so wie die meisten Arttoys. Da mach ich lieber solche Filzpuppen, solche wie ich ganz am Anfang mal gemacht habe, wie man sie auch in meinem Buch sehen kann.«
Apropos Buch. Das Buch »Everything That Creeps« von LizMcGrath über Liz McGrath will ich hier einfach mal jedem wärmstens empfehlen, der in ihre skurrile Kunst abtauchen möchte. Die Bilder in diesem Buch wurden allesamt von ihrem Ehemann Morgan Slade perfekt in Szene gesetzt und fotografiert. Mit ihm zusammen gründete Liz auch die Band Miss Derringer. Ich könnte jetzt versuchen eine terffende Beschreibung dieser 112 Seiten zu geben, wenn nicht schon eine vom Verlag existieren würde:
»First book to collect the work of L.A. underground art worlds wunderkind. Beautifully produced and co-published with La Luz de Jesus, this is an objet dart in itself, revealing the complexity of Elizabeth McGraths sweetly twisted creatures, giving a glimpse of what the Island of Misfit Toys might have become had it been saved by Satan rather than Santa. Upon first viewing, McGraths colourful, mummified creatures are gothic oddities, but their undeniable artistry immediately draws one in, revealing their touching curiosities, transforming their grotesqueness into tortured beauty. Each piece is meticulously sculpted, dressed and decorated in exquisite detail.«
Mario Damian & Danny Winkler / Photos von Sylvia Fröschke